Was für ein Auftakt
Eine Woche nach der grausamen Klatsche im Testspiel gegen Union Berlin gilt es. Der Hallesche FC, um Altlasten leichter, die gerade noch die Zukunft waren, startet in seine sechste Saison in der 3. Liga. Gegen Paderborn, die hier gar nicht mehr sein dürften. Wäre nicht der TSV 1860 München nicht mehr da. Verwirrend.
Verwirrend wie die neuen Namen der Spieler auf dem Platz, die so neu nicht sind. Gerademal zwei Neuzugänge hat Trainer Rico Schmidt in die Startaufstellung berufen: Den “Königstransfer” Mathias Fetsch und Abwehrmann Hendrik Starostzik. Der Rest der Verstärkungen, die aus dem Tabellen-13. der letzten Saison einen 5. machen sollen, sitzt auf der Bank.
“Jeden Monat neue Überraschungen” verspricht eine Bandenwerbung, aber Überraschungen gibt es zum Anpfiff nicht. Die Fankurve zündet einen Böller, bengalische Feuer und roten Rauch, dazu spielt die Stadionregie wie immer das Lied, mit der Heavy-Metal-Fan in der Fischkneipe bestellt: “Zander!” Schiri Felix Zweyer pfeift an, der HFC führt den Anstoß aus, der Ball geht lang auf Sliskovic, der in den Strafraum stürmt, er wird umgerissen. Elfmeter. Benjamin Pintol läuft an und trifft. 15 Sekunden vorbei und schon führen die Gastgeber und das Stadion schwelgt in Fantasien von einem erfolgreichen Saisonstart.
Wie von Zauberhand
Was für eine Herrlichkeit! Die jedoch sofort endet. Der HFC findet ab Minute zwei nicht mehr statt. Oliver Schnitzlers Abstöße landen wie von Zauberhand bei einem der schwarzgekleideten Paderborder, vielversprechende Pässe in die Spitze laufen immer genau in die Richtung, in die Sliscovic, Fetsch und Pintol nicht laufen. Ajani verliert den Ball im Vorwärtsspurt, Röser bekommt erst gar keine Bälle, um mal einen Flankenlauf anzuziehen.
Dafür ist Paderborn präsent. Während der HFC in seinem neuen 4-1-4-1-System lange wartet, ehe er die Gäste anläuft, greifen die schon weit in der HFC-Hälfte an. Mit Erfolg. Der HFC wird nervös und in der vierten Minute verliert Ajani im Versuch, vorm Paderborner Tor in Schussposition zu kommen, den Ball. Zwei, drei Stationen und die Schwarzen sind vor Schnitzlers Tor. Pass nach innen, Abschluss, Schnitzler fliegt vergeblich hinterher. 1:1.
Sind das nun schon hängende Köpfe beim Gastgeber? Ein paar hängende Schultern auf jeden Fall. Was folgt, ist die fürchterlichste, grausamste und empörendste Vorstellung einer HFC-Mannschaft seit Jahren. Nichts geht mehr. Alles in Rot und Weiß steht sich auf den Füßen, stolpert über den Ball, kommt nicht zum Schießen, weil vorher noch die Füße sortiert werden sollen. Ein Debakel auch schon, ehe Marc Vucinovic in der 18. Minute einen von Schnitzler verursachten Strafstoß zum 1:2 in die Maschen setzt.
Der in der Vorbereitung kritisierte Torwart aber ist jetzt der Beste in Schmidts Elf: Dreimal wehrt er hundertprozentige Torchancen ab, er allein ist es, der einen HFC noch im Spiel hält, der wirkt wie ein Sechstligist. Immer wieder gehen Bälle im Vorwärtsgang verloren. Immer wieder fackelt Paderborn nicht lange, spielt schnell und direkt, passt genau und findet einen freien Mann, der den Abschluss sucht. Und findet: In der 45. Minute kann auch der hervorragende Schnitzler nichts mehr machen, als der aus der Regionalligaelf des BFC nach Paderborn gewechselte Dennis Srbeny in im 1:1 verlädt und rechts unten trifft. 1:3.
Es sieht jetzt alles danach aus, als könnten die 6500 Zuschauer Zeugen des schlechtesten Saisonauftakts einer HFC-Elf in der 3. Liga werden. Denn nach der Pause geht es weiter wie gehabt. Eine anämische HFC-Elf, in der Königstransfer Fetsch seine beste Aktion hat, als er einen scharf getretenen Freistoß vor der eigenen Abwehr wegköpft, scheint sich einer mittelmäßigen Paderborner Elf kampflos zu ergeben.
Nichts deutet auf das hin, was gleich folgen wird. Ganz im Gegenteil: Schmidt nimmt der schwachen Fetsch und den unsichtbaren Röser raus und bringt mit Hilal El-Helwe dem aus Braunschweig an die Saale gewechselten Braydon Manu zwei neue Leute bringt. Die beiden sind kaum auf dem Platz, als es bei Schnitzler wieder klingelt: Srbeny, in der Sommerpause angeblich auch Thema beim HFC, bedient Michel. Der hat nicht die geringste Mühe, zum 1:4 einzunetzen.
“Aufhören” wird gerufen
Es sind 60. Minuten vorbei und es droht jetzt mindestens die Einstellung des Heimniederlagenrekords vom 1:4 gegen Stuttgart II und Aaalen. Niemand gibt jetzt noch einen Pfifferling auf diese HFC-Mannschaft, die zweifellos gute Chancen hat, als Tabellenletzter in die Saison zu starten. Die ersten Zuschauer gehen, die anderen pfeifen. “Aufhören”, wird gerufen. Die Fankurve schweigt.
Es dauert bis zur 73., ehe ein Fünkchen Hoffnung aufflackert. Braydon Manu setzt sich auf links gegen jede Wahrscheinlichkeit durch und spielt aus reiner Verzweiflung nach innen. Marvin Ajana, die bis dahin trocken stotternde “Maschine” (Schmidt), flankt nach innen. Und der eigentlich abgeschriebene El-Helwe trifft per Kopf zum 2:4.
Auf einmal wittern sie unten Morgenluft und oben passiert, was nur im Fußball geschieht: Die verbliebenen Fans riechen eine Sensation, warum und weswegen auch immer. Es ist Braydon Manu, ein Zwerg von angeblich 1,70 Meter Höhe, der aussieht, als wäre er höchstens 1,50 groß, der jetzt das ganze, längst gelaufene Spiel dreht. Der Mann mit der Tretschok-23 ist überall, er bringt ins Spiel, was vorher fehlte: Leidenschaft, Kampfgeist, den Willen, es zwingen zu wollen. Nur eine Minute nach dem 2:4 bedient er Pintol, der spielt Sliscovic an. Der verkürzt auf 3:4.
Jetzt haben sie eilig da unten, jetzt steht das Stadion Kopf. In der Luft liegt ein Geruch vom Rostock-Spiel im April 2014, als Toni Lindenhahn den Sieg in der 93. Minute herausschoss. Nur noch zwei Tore! Rico Schmidt nimmt sich Braydon Manu an die Seite. Er tätschelt ihm die Schulter. Er weiß, wenn heute irgendeiner, dann nur er. Direkt von der Trainerbank läuft Manu in den nächsten Angriff. Es ist die 84. Minute. Gewühl im Strafraum. Der kurze Manu am langen Pfosten. Kein Schuss, aber ein Tor. 4:4
Paderborn ist konsterniert, der HFC euphorisiert. Zwar verraten auch die verbliebene Minuten, dass die Säge bei den Rot-Weißen noch an allen Ecken klemmt. Aber wenn der eingewechselte Daniel Bohl seinen Schuss in der 90. Minute etwas tiefer ansetzt, dann wäre das sogar noch der Sieg gewesen.
So bleibt es beim 4:4, einem Remis, das Züge eines Debakels hat und sich am Ende doch wie ein Sieg anfühlt.
In der HFC-Geschichte ab jetzt als “das Wunder vom 22. Juli” geführt.
Quelle: http://www.politplatschquatsch.com/